Spielraum, Galerie Ostendorff, Münster 2018

Eric C. Erbacher
zur Ausstellung Spielraum
Galerie Ostendorff Münster, April 2018

„Spielräume, Zwischenräume, Präsenzräume“

(…) Auch bei der ebenfalls in Hamburg lebenden Künstlerin Sonja Koczula sind die Formen im Raum das auf den ersten Blick definierende Charakteristikum. Beinahe skulptural ergreifen die dunklen breiten Pinselstriche auf der nur scheinbar weißen Leinwand die Aufmerksamkeit des Betrachters, ziehen die Blicke in den Bann. Gerade die großformatigen Arbeiten, die an die abstrakten Kompositionen des Informel erinnern, werden durch diese gestischen Setzungen dominiert. Diese Setzungen folgen dabei, bei aller vermeintlichen Zufälligkeit, einer klaren Komposition, die in ihrer Reduziertheit und ihrer Entschiedenheit wie Skizzen für skulpturale Arbeiten wirken. Tatsächlich haben viele der Werke eine derartig raumgreifende Wirkung, dass sie geradezu als malerische Plastiken bezeichnet werden könnten. Der durch die Leinwand eröffnete helle Raum wird hier zur Galerie, in der sich die kräftigen Formen ihren Raum nehmen und ihn in der ihr eigenen, nie berechenbaren und doch klar definierten Art besetzen.

Und doch erschöpft sich (…) Koczulas Werk nicht in dieser Präsenz, sondern zieht auch hier seine Qualität aus dem Spannungsfeld zwischen den vermeintlich einfachen Großformen und deren feiner Gestaltung, die erst bei einer genaueren Betrachtung der Arbeit erkenntlich wird. Dabei wird deutlich, dass die scheinbar so massiven breiten Linien voller Komplexität sind, manchmal fragil und durchscheinend werden, dann wieder farblich tief aber an den Rändern ausgefranst. Darüber hinaus werden die breiteren Linien meist durch dünnere, feinere Linien umspielt, und damit teilweise alternative Formen sichtbar und die Formen rhythmisiert. In einigen Arbeiten wird dem so klar wirkenden prägnanten Schwarz auf Weiß sogar durch den Einsatz von Farbe entgegengewirkt, wobei hier vor allem der dezente Einsatz von einem grellen Neonpink die Arbeiten klar in der Gegenwart verortet. Dazu kommt die Oberflächenstruktur, die sich bei genauerem Hinsehen wie eine Landkarte lesen lässt. Koczula setzt hier eine Vielzahl an Materialien ein, von Ölfarbe über Bleistift bis hin zu Lacken, die allesamt informel experimentell immer wieder in ihren Wirkungen befragt werden, und so oft das Gegenteil von dem bewirken, was gemeinhin damit bezweckt wird. Farbe wird durchlässig und lässt tieferliegende Schichten durchscheinen, Lack wird brüchig und rau, bekommt eine archaische Anmutung, hellere Farben werden durch dunklere überdeckt, so dass erstere zu einem Schimmer reduziert werden.
Der Bildträger, die Leinwand oder das Büttenpapier, wird bei Koczula (…) explizit Teil der Arbeit. Gerade in den Papierarbeiten nimmt sich die grobe Materialität des Büttens ihren Raum, wird ganz selbstverständlich Teil der Komposition. Mit dieser Vielfalt der Oberflächengestaltung bekommen Koczulas Arbeiten eine Komplexität, die weit über das Repertoire der dominanten Großformen hinausgeht. Insgesamt ergibt sich ein spannungsreiches, immer wieder neu zu erkundendes feines Geflecht von Formen, Linien und Farben, die den Großformen zu Tiefe und Komplexität verhelfen. Nicht nur der Bildraum der Leinwand wird so erschlossen und erfasst, sondern auch der die Bilder umgebende Raum der Wand wird geprägt und neu kalibriert.
(…)
Etwas zurückhaltender (…) ist die Bedeutung der Zwischenräume bei Sonja Koczula. Hier muss der Malprozess betrachtet werden. Im Gegensatz zur Erwartungshaltung des Betrachters setzt Koczula die dunkle Farbe meist nicht auf die helle Farbe der Leinwandgrundierung oder des Untergrundes, sondern sie definiert und formt die gestisch wirkenden schwarzen Linien durch das Übermalen einer dunkleren Fläche mit weißer Farbe. Die scheinbar so selbstbewussten Pinselstriche werden so zu stehengebliebenen Restflächen einer umgekehrten gestischen Malerei. Und damit werden auch hier die dunklen Zwischenräume zwischen den hellen Flächen zu den das Auge fesselnden Elementen der Arbeiten. Erst der Betrachter, der diese Umkehr der Konvention erkannt hat, und bereit ist, sich auf die zentral gesetzten Zwischenräume einzulassen, ist den Bildern damit auf der Spur, und kann sich in die damit eröffneten Bildebenen hineintasten.
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