Spannungsräume, Kunstverein Lohne 2022

Farbe - Form - Material

Eric C. Erbacher zur Ausstellung
Kunstverein Lohne, Mai 2022

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Die Arbeiten der in Osnabrück geborenen und in Hamburg lebenden und arbeitenden Künstlerin Sonja Koczula – seien es Zeichnungen auf Papier oder Malereien auf Leinwand – erfordern eine ausführliche Betrachtung. Es sind keine Arbeiten, die sich auf Anhieb und mit einem schnellen Blick, vielleicht sogar im Vorbeigehen, erfassen lassen. Schließlich handelt es sich nicht um gegenständliche Bilder, die etwas eindeutig Identifizierbares abbilden, sondern um abstrakte Bilder, bei denen Farben, Formen und Materialien im Vordergrund stehen. Als Betrachter sollte man sich also ein wenig Zeit nehmen, jede der Arbeiten zunächst als Ganzes auf sich wirken zu lassen, dieser ersten Annäherung eine detailliertere Betrachtung aus der Nähe folgen zu lassen, um sich dann, mit einem vorsichtigen Schritt zurück, erneut einen Gesamteindruck zu verschaffen. Man sollte also ein wenig Muße, Neugierde und auch Bewegungsfreude mitbringen, wenn man Sonja Koczulas Arbeiten erkunden möchte.

Seien Sie aber unbesorgt: Zum einen ist das jetzt nicht das Ende der Einführung, und ich werde Sie nicht ohne ein paar weitere Anregungen auf Ihre individuellen Erkundungstouren von Koczulas Bildwelten schicken.

Zum anderen ist die eingehende Beschäftigung mit den Farben, Formen und Materialien von Koczulas zeichnerischen und malerischen Arbeiten außerordentlich lohnend, ermöglichen diese doch die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragestellungen zeitgenössischer, insbesondere ungegenständlicher, Kunst.

Zu diesen grundlegenden Fragestellungen des künstlerischen Schaffens gehören Entscheidungen über die Wahl von Farbe, Form und Material. Üblicherweise finden diese Entscheidungen vor dem Schaffensprozess statt, die sich damit in der fertiggestellten Arbeit nicht mehr nachvollziehen lassen, und die für die Betrachtenden damit intransparent bleiben. In Koczulas Zeichnungen und Malereien jedoch werden sie offengelegt. Die Farben, Formen und Materialien der Werke werden so in der Eindeutigkeit ihrer Verwendung hinterfragt und ihr bewusster Einsatz wird Teil des künstlerischen Prozesses.

 

Lassen Sie mich konkret werden – und, erstens, mit der Farbe beginnen:

Auf den ersten Blick scheinen viele der Arbeiten von Sonja Koczula von den (Nicht-)Farben Schwarz und Weiß dominiert zu werden, die jeweils unvermittelt nebeneinanderstehen. Warum wählt eine Künstlerin diese beiden so gegensätzlichen Farben und lässt diese visuell aufeinanderprallen? Offensichtlich interessiert sie sich für den extremen Kontrast, der die eine Farbe von der anderen abhebt. In Koczulas Arbeiten ist es die dunkle, oft schwarze, Farbe, die aus dem weißen Hintergrund hervortritt und damit lesbar wird. Allerdings wird es hier bereits spannend, da bei genauerem Hinsehen sowohl die dunklen als auch die hellen Flächen farblich deutlich vielschichtiger sind als es den Anschein hat. So kommt gerade an den Rändern der dunklen Farbe, sowie an den Rändern der Papierarbeiten, immer wieder eine Vielzahl unterschiedlicher Farben, wie Rot, Blau oder Pink, durch das abdeckende Weiß zum Vorschein. Diese Farben gleichen damit nicht nur den vermeintlich scharfen Kontrast etwas aus, sondern geben dem einzelnen Bild auch seine jeweils spezifische Stimmung. Darüber hinaus vermitteln die teils offenliegenden, teils ansatzweise verdeckten übereinanderliegenden Farbschichten einen Eindruck von räumlicher Tiefe.

Verschiedene Farben werden von Koczula also teils direkt, teils subtil, aber immer ganz bewusst, eingesetzt, um dem Bild Prägnanz, Charakter und Räumlichkeit zu verleihen.

 

Kommen wir nach der Farbe zur zweiten künstlerischen Frage, der nach der Form:

Indem wir als Betrachter die weiße Farbe als Hintergrund lesen, treten uns die schwarzen bzw. dunklen Farbflächen als Formen entgegen. Ganz offensichtlich scheint es sich bei diesen Formen um ungegenständliche, also abstrakte, Formen zu handeln. Eine erneute genauere Betrachtung offenbart allerdings, dass manche dieser Formen klare Konturen haben und sehr gezielt komponiert wirken, während andere Formen freier, lockerer und schneller auf den Bildträger gesetzt scheinen. Tatsächlich beruhen die klar komponierten Formen auf Fotografien von konkreten Gegenständen, die die Künstlerin bei ihren Recherchen z.B. in Zeitschriften findet und in einem künstlerischen Abstraktionsprozess zu mehr oder weniger lesbaren Motiven verarbeitet.

Dagegen lehnen die freien Formen in ihrer zwar malerisch lockeren, jedoch sehr entschieden auf den Bildträger gesetzten Art, jeden Verweis auf Gegenständlichkeit selbstbewusst ab, so wie es die Maler des Informel (z.B. K.O. Götz) oder des amerikanischen Abstrakten Expressionismus (z.B. Franz Kline) taten.

Neben der komplexen Verwendung von Farbe, wird auch die Frage nach der Form von Sonja Koczula souverän beantwortet. Sie kann dazu auf ein großes Formenrepertoire zurückgreifen, um dem jeweiligen Bild, bei aller Wiedererkennbarkeit, einen jeweils unterschiedlichen Charakter zu verleihen.

 

Kommen wir damit zur dritten zentralen Entscheidung des künstlerischen Schaffensprozesses: dem Material.

Wie hier in der Ausstellung im Wasserturm in Lohne unschwer, auch auf den ersten Blick, zu erkennen ist, arbeitet Sonja Koczula meist auf Leinwand oder auf Papier, bzw. auf Büttenpapier. Die Unterschiede in der Wahl der Bildträgermaterialien könnten größer kaum sein: Während die Leinwände gerahmt sind, und damit nicht nur eine größere, beinahe objekthafte, Tiefe bekommen, sondern auch verwindungssteif und starr an der Wand, oder hier an den Seilen, hängen, befestigt Koczula ihre teilweise sehr großformatigen Papierarbeiten ungerahmt im Raum, so dass hier nicht nur die Fragilität der Arbeit, sondern auch ihre Leichtigkeit und Beweglichkeit betont wird. Außerdem hat Leinwand selbstverständlich eine gänzlich andere, nämlich geradlinig gewebte, Oberflächenstruktur als das geschöpfte Büttenpapier, das durch seine Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche wie an den Rändern eine andere Qualität bekommt.

Neben unterschiedlichen Bildträgern setzt Koczula auch eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien zur Bildgestaltung ein, von Öl und Acryl über Tusche und Bleistift bis hin zu Schellack und Bienenwachs, und verwendet zumeist mehrere dieser Materialien für ein Bild – wofür sie dann den Begriff „Mischtechnik“ verwendet. Auch diese Materialwahl ist selbstverständlich wieder eine höchst bewusste Entscheidung der Künstlerin, die jedem Bild oder jeder Serie damit einen ganz eigenen Charakter gibt: So reicht Koczulas Spektrum von recht glatten, geschlossenen Arbeiten mit Bienenwachs auf Papier, hier auf den Sockeln so präsentiert, dass sie von oben betrachtet werden können, bis hin zu eher rauen, aufgebrochenen Arbeiten, die beinahe verletzlich erscheinen.

 

Jede der drei für künstlerisches Schaffen grundlegenden Fragestellungen – der nach Farbe, nach Form und nach Material – wird von Sonja Koczula in ihren Arbeiten höchst individuell, höchst selbstbewusst und höchst komplex beantwortet. Jede einzelne Arbeit, und erst recht eine Ausstellung wie diese, bietet damit einen umfassenden Überblick über das vielfältige Repertoire an Farben, Formen und Materialien zeitgenössischer Kunst. Das faszinierende – und spannende – bei Sonja Koczulas Werk ist dabei, dass die Arbeiten trotz dieser Vielfalt an Farben, Formen und Materialen einen ausgesprochen hohen Wiedererkennungswert haben und damit stets auf die charakteristische Hand der Künstlerin verweisen.

Ich darf Sie nun herzlich dazu einladen, Sonja Koczulas Arbeiten selbst zu erkunden und diese auf die jeweilige Wahl von Farbe, Form und Material zu untersuchen. Ich bin sicher, dass Sie sich beim genauen Betrachten der vielfältigen Arbeiten der Faszination nicht entziehen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und viel Freude bei der Ausstellung!  

 

Eric C. Erbacher

20.05.2022

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