Nähe ausloten, nwwk 2017

Anette Naumann
zur Ausstellung nähe ausloten
von Katharina Fischborn und Sonja Koczula
Neuer Worpsweder Kunstverein, Juli 2017

Vom Neuen Worpsweder Kunstverein wurden wieder einmal zwei Künstlerinnen ausgeguckt, die sich in einer Ausstellung verschwestern sollen. Die Idee ist schon da, dass sie etwas miteinander zu tun haben könnten. Dennoch ist es auf den ersten Blick ziemlich disparat, was man in der Ausstellung zu sehen bekommt: ein mächtiges Auftreten dunkler, organisch auftretender Formen auf hellem Grund, die einen packen und so leicht nicht loslassen auf der einen Seite, auf der anderen zurückhaltende Papierarbeiten, die auf die Grundrichtungen Waagerechte, Senkrechte und Diagonale basieren und architektonische Strukturen bauen. Wild und emotional hier – rational und eher streng dort, so könnte man es übertreibend sagen – auf den ersten Blick jedenfalls. Doch wenn die Betrachtenden etwas näher herangehen, werden diese Unterschiede relativiert, durch verschiedene Eigenschaften gegeneinander aufgewogen. So wie der ganze Ausstellungsprozess auch verschiedene Stufen des Abstands hatte: eine erste Annäherung durch das gegenseitige Kennenlernen der verschiedenen Arbeiten mit einem „ja, das könnte gehen“, ein weiteres Aufeinander zugehen, in dem Beschluss, für diese Begegnung extra Werke anzufertigen, dann ein Aufprall der verschiedenen Vorstellungen, Ansichten und Bedürfnisse mit einer richtigen Krise, dem kathartischen Höhepunkt, der einer Lösung vorangehen musste. Nun sehen wir das glückliche Endergebnis, dem man ansieht, dass zwei Menschen gewagt haben, in die Auseinandersetzung zu gehen und nicht bloß Position eins und Position zwei nebeneinander gehängt haben. Um etwas Gemeinsames zu schaffen, ist es notwendig hier nachzugeben, sich dort zu behaupten, in einen Prozess zu gehen. Wie es die Kunst ja auch stets von den einzelnen Schaffenden verlangt, so manche schöne Stelle zu opfern, um das große Ganze gestalten zu können.
Nähe ausloten – den Titel haben sich die beiden Künstlerinnen gegeben und Wort gehalten. Ich werde es jetzt auch tun und Ihnen verbal eine Lupe in die Hand geben, um aus der Distanz immer näher herankommen zu können.
Um noch einmal die Verschiedenheiten zu charakterisieren, haben wir auf der Seite von Sonja Koczula Bilder, in denen sich vom weißen Umraum kraftvolle Formen abheben. In vielen Schichten, mit Acryl, Schellack, Tusche, Bleistift wird ihr Farbkörper erarbeitet, der in seiner unmittelbaren Expressivität etwas Wildes und Ungebärdiges hat. In ihrer materiell fühlbaren und emotional spürbaren Präsenz sind sie ganz da. Im Gegensatz dazu zeigt Katharina Fischborn vor allem Drucke (im unteren Raum auch Zeichnungen), deren Wirkung von etwas bestimmt wird, was nicht da ist – die ausgeschnittenen Leerstellen, die im Papier fehlenden Flächen: die Absenz der Materie wird hier wirkmächtig. In der Ordnung, der Betonung der Geraden, der inneren Logik des Konzepts weht gewissermaßen die Kühle des Gedankens, während in Sonja Koczulas Arbeiten die physische Wärme der Bewegungsenergie spürbar ist. Doch diese erste Charakterisierung führt sofort in die Irre, wenn man dabei stehen bliebe – denn wer Frau Fischborn kennt, weiß von ihrem Temperament und der Hitze der Begeisterung (die sich auch in ihren Werken zeigt, nur vermittelter), während Frau Koczula in ihrer Arbeit planvoller und überlegter vorgeht, als es zunächst vielleicht scheint.
Ihre Bildformen sind nämlich nicht allein durch rein expressive Gesten der Hand, durch den körperlichen Schwung der Pinselführung erzeugt, sondern greifen auf ein erarbeitetes Repertoire, ihr persönliches visuelles Wörterbuch zurück. Auf der Suche nach der prägnanten Gestalt sammelt sie Formen, die ihr über die Medien als gedruckte Fotos vermittelt werden, und löst sie durch Übermalung aus ihrem Kontext heraus. Besonders augenfällige blockhafte Konturen werden durch Tusche verstärkt, die Bereiche außerhalb der Form durch Weiß abgedeckt. Dieser Bestand an „Fundstücken“ wird zur Grundlage für Leinwand- und Papierarbeiten, die sie entweder direkt als 1:1 Vergrößerung umsetzt (im unteren Raum sind Beispiele davon zu sehen) oder zum Ausgangspunkt vielschichtiger Interaktionen macht. Bei diesen freieren Gemälden gibt es einen langwierigen Prozess des Eindämmens, Begrenzens und Erweitern der Form, um die es geht, die es dingfest zu machen gilt (ohne ihr Geheimnis preiszugeben). Dafür ist der beständige Wechsel zwischen Impulsivität und Kontrolle unabdingbar.
(…)
Aus Licht und Schatten sind bei Sonja Koczula vor allem die großen Bilder mit dem prominenten Helldunkel-Kontrast gemacht, der die großen Bilder auszeichnet. Mit den kleineren Bildern kommen die beiden Künstlerinnen zusammen – sie haben sich, basierend auf ihrer beider Vorliebe für das Format 40x20cm, auf eine gemeinsame Begegnungsarbeit verständigt, für die die eine jeweils 16 „Quartette“ und die andere 16 Ölbilder im orange-roten Farbspektrum gefertigt hat. Während die fensterartigen Ausschnitte in den handgewalzten Farbdrucken durch die Hintereinanderschichtung die Farbe mischen und komplexe räumlich Durchblicke und Verschleierungen schaffen, zeigen die Amöben-artigen Formen ebenfalls Hohlformen und Aussparungen, und bilden durch mehrere Farbschichten mit unklaren Konturen verwischte Grenzen. Der Übergang von Linie zu Fläche im Farbkörper ist dabei fließend – es gibt meist etwas Kompaktes und Ausläufer der Farbe in tentakelhaften Linien. Bei Katharina Fischborn ist es ebenfalls eine Definitionsfrage, ob die Einschnitte mit dem Skalpell Flächen oder breite Linien markieren. (Wie lange ist ein Punkt ein Punkt, bevor er durch Ausbreitung zur Linie wird?) (…)
Auch Sonja Koczulas Arbeiten nehmen insofern in der Zeichnung ihren Ursprung, als ihre Linien Bewegungsspuren hinterlassen, Umrisse umfahren, Formen bildend auf der Bildfläche ihre Wege suchen und finden. Ihr ist es wichtig, einen Ausdruck für die Bewegung des menschlichen (und allen organischen) Lebens zu finden, da diese für unsere Existenz unabdingbar ist; wenn alle metabolische Bewegung aufhört, tritt schließlich der Tod ein.
Für beide Künstlerinnen bleibt also die erfahrene Linie ihr Mittel zur Weltaneignung, mit der sie auf ihre Umwelt gestalterisch reagieren. Als Kind fängt man an, die Umgebung über die Sinne und über die Bewegung im Raum zu erfahren. Noch bevor man die Sprache zur Verfügung hat, ist das Zeichnen der Weg, etwas von der Welt zu erfahren, zu verstehen und auszudrücken. Alles, was wir wahrnehmen und in unserem Leben erfahren, müssen wir auch als Nicht-Künstler in irgendeiner Form gestalten, um es wirklich zu begreifen – und das kann heißen, ein nagendes Gefühl in Worte zu kleiden, Wahrheiten in Form der Literatur zu erkennen, Bilder und Symbole für das, was uns wichtig ist, zu finden.
Die Werke der beiden Künstlerinnen Sonja Koczula und Katharina Fischborn sind beide lebenserfüllt und erfahrungsgesättigt, schwingend in der Polarität von Stoff und Idee, von Fülle und Leere. (…)

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